Karl Kraus: Wiener Stätten

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II. "Der 'Fackel'-Lauf"


 

Die Fackel" Nr. 69, Wien, Ende Februar
1901, Titelblatt.

Anfang April 1899 erschien die erste Nummer der Zeitschrift "Die Fackel" im Umfang von 32 Seiten mit dem charakteristischen roten Umschlag und der Titelzeichnung einer brennenden Fackel vor der Silhouette Wiens. Die oft zitierten Worte Robert Scheus geben einen Eindruck von der Wirkung des ersten Heftes: "Und es kam - - Eines Tages, soweit das Auge reicht, alles - rot. Einen solchen Tag hat Wien nicht wieder erlebt. War das ein Geraune, ein Geflüster, ein Hautrieseln! Auf den Straßen, auf der Tramway, im Stadtpark, alle Menschen lesend aus einem roten Heft" (zit. nach Katalog Marbach 1999, 33). Es war das erste von insgesamt 922 Heften, die letzte "Fackel" erschien Mitte Februar 1936. Kraus selbst nannte die "Fackel" 1899 eine "politisch-satirische Zeitschrift", die "in der aus früheren Schriften des Herausgebers bekannten scharf satirischen und polemischen Art an den Ereignissen der Politik und Volkswirtschaft, des Theaters, der Gesellschaft, Literatur und Kunst schneidige Kritik üben und namentlich das vielgestaltige Cliquenwesen Wiens rücksichtslos bekämpfen" wolle (Beilage zu F 5, Mitte Mai 1899, vgl. "Der 'Fackel'-Lauf", 13, 15). Daß Kraus mit der "Fackel" den Nerv getroffen hatte, zeigt der im 9. Heft (Ende Juni 1899, 27) veröffentlichte "Rechenschaftsbericht des I. Quartals": "Anonyme Schmähbriefe 236 / Anonyme Drohbriefe 83 / Ueberfälle 1". Während der ersten fünf Jahre griff Karl Kraus auf Mitarbeiter zurück, die Beiträge für die Zeitschrift lieferten, ab der 155. Nummer vom 24. Februar 1904 schrieb Kraus die "Fackel", die sich am Ende auf insgesamt 20 952 Textseiten belief, alleine. Die Bemühungen, Einsendungen, Meinungsäußerungen oder Manuskriptzusendungen unterschiedlichster Art seitens der Leser zu unterbinden, bilden in der Geschichte der "Fackel" ein eigenes und amüsantes Kapitel. In der Nummer 20 (Mitte October 1899, S. 32) heißt es: "Die Absender anonymer Schmähbriefe werden ersucht, sich noch kürzer zu fassen", in Nr. 30 (Ende Jänner 1900, 32): "Anonyme Anfragen werden nicht beantwortet. Ballcomités werden ersucht, die Zusendung von Ehren- u. dgl. Karten zu unterlassen, da der dankbare Herausgeber zur Zurücksendung keine Zeit hat", in Nr. 261-262 (13. October 1908): "Der Herausgeber der 'Fackel' hat keine redaktionelle Sprechstunde und lehnt die Erteilung von Ratschlägen und die Beurteilung von Talentproben ab" und in Nr. 437-442 (31. Oktober 196, 68) ergeht die Aufforderung an Verleger, "die völlig aussichtlose Zusendung von Rezensionsexemplaren" zu unterlassen und der Papiernot - es herrscht Krieg - "wenn schon nicht die ganze Auflage, so doch wenigstens dieses eine Exemplar" zu opfern (vgl. "Der 'Fackel'-Lauf", 84). Die 37 Jahrgänge der "Fackel" liegen in zwei Reprint-Ausgaben vor (München: Kösel Verlag 1968-1973, hrsg. von Heinrich Fischer im Originalformat und geringfügig verkleinerter Reprint des Kösel-Reprints bei Zweitausendeins, Frankfurt 1981). 2002 publizierte Friedrich Pfäfflin im K.G. Saur Verlag eine CD-ROM Ausgabe der "Fackel". Eine vollständige Bibliographie der 922 Hefte der "Fackel" bietet das Beiheft 4 zum Marbacher Katalog, von dem dieses Kapitel sich den Titel erborgt hat: Der 'Fackel'-Lauf. Bibliographische Verzeichnisse. Hrsg. von Friedrich Pfäfflin und Eva Dambacher in Zusammenarbeit mit Volker Kahmen. Marbach 1999.






"Ich habe mich heute davon überzeugt, daß der Zustand der Menschheit unheilbar ist." 

(Karl Kraus an Sidonie Nádhérny, 22./23. November 1914)





Die Fackel, Nr. 455, Ende Februar 1914, Titelblatt

Verlagsbuchdruckerei Moriz Frisch, Bauernmarkt 3, Wien, I.


Bauernmarkt, Verlagsbuchdruckerei Moriz Frisch

Verlagsbuchdruckerei Moriz Frisch (1903)

Im Haus Bauernmarkt 3 - auf der Abbildung vorne links - wurde die erste Ausgabe der Fackel gedruckt. Hier firmierte vom ersten Heft an bis zur Nr. 81 von Ende Juni 1901 auch die Geschäftstelle der "Fackel" (vgl. das Impressum des ersten Heftes in Katalog Marbach, 38). Der Verleger und Drucker Moriz Frisch gründete im Oktober 1901 - Kraus befand sich nach dem Tod Annie Kalmars auf einer dreimonatigen Skandinavienreise - die "Neue Fackel" und weitere Nachfolgezeitschriften ("Im Feuerschein", "Im Fackelschein"). Erst nach 15 Prozessen erlangte Karl Kraus seine Rechte am Titel der Zeitschrift wieder. Die Fackel erschien seitdem im Selbstverlag, der Druck ging an Jahoda & Siegel (vgl. "Der 'Fackel'-Lauf", 49). Das Haus wurde 1903 abgerissen. Eine biographische Anekdote über den Verleger Moriz Frisch teilt Friedrich Torberg in seiner "Tante Jolesch" mit (Torberg, 80 f.).

 

Impressum der "Fackel",

Nr. 69 von Ende Februar 1901 mit Angabe des Druckortes:

 

Elisabethstraße 4, Wien, I.

In der südlich, parallel zum Opernring, zwischen Kunsthistorischem Museum und Kunstakademie gelegenen Straße, bezog Karl Kraus im November 1900 seine erste eigene Wohnung, nachdem er aus der elterlichen Wohnung in der Maximilianstraße [heute: Mahlerstraße] 13 ausgezogen war. Kraus wohnte hier bis Oktober 1902 (vgl. Katalog Marbach 1999, 498).

 

Hetzgasse 4, Wien, III.










Nach der Trennung von dem Verleger Moriz Frisch (vgl. oben) ließ Kraus die Fackel ab Herbst 1901 bei Jahoda & Siegel drucken. Unweit des Druckortes in der Hinteren Zollamtsstraße 3 (siehe unten) und des heutigen Hundertwasserhauses mietete er eine Wohnung, die zugleich Büro für den Verlag der Fackel war, in der Hetzgasse Nr. 4. Im Oktober 1902 wurde das Büro in die Schwindgasse 3 (IV. Bezirk) - unweit des Schwarzenberg Platzes und seiner späteren Wohnung in der Lothringer Straße 6 verlegt (Begleitbuch Wien 1999, 77 und Katalog Marbach 1999, 54).

 

Schwindgasse 3, Wien, IV.


Absenderstempel "Die Fackel", nach
1902

Siehe Haus Wien 3, Hetzgasse 4, Wien, III.

 

Elisabethstraße 20, Wien, I.

Kraus wohnte hier zwischen dem 1. August 1907 und Februar 1911.

 

Dominikanerbastei 22, Wien, I.


Von Februar 1911 bis zum Umzug in seine letzte Wohnung in der Lothringer Straße 6 wohnte Kraus in der Dominikanerbastei 22.

 

Hintere Zollamtstraße 3, Wien, III.



Im Gebäude rechts befand sich im Erd-
geschoß  und  im  1. Stock  die Druckerei 
Jahoda & Siegel.

Ab Herbst 1901 ließ Kraus die Fackel bei Jahoda & Siegel drucken, ab Oktober 1907 wurde die Druckerei außerdem Sitz des Zeitschriftenverlages und ab 1908 auch Sitz des Redaktionsbüros. Ab 1919 firmierte sie auch als Sitz des "Verlags 'Die Fackel'", übernahm also neben der "Fackel" auch die Herstellung und den Vertrieb der in Buchform erscheinenden "Schriften" von Karl Kraus, für die zuvor die Verlage Leopold Rosner (mit dessen Sohn Karl Rosner Kraus gemeinsam auf das Franz-Josephs-Gymnasium gegangen war), Albert Langen und Kurt Wolff (Leipzig) zuständig waren. Bei Jahoda & Siegel wurden außerdem Kraus' Werke gedruckt, die im Verlag Richard Lányí herausgegegeben wurden (Begleitbuch Wien 1999, 88). Das Gebäude Hintere Zollamtsstraße 3 besteht seit 1740, im Jahr 1827 wurde das Gebäude als Kaffeesalon eingetragen, ein erster Umbau erfolgte 1835 durch den Architekten Peter Gerl (1796-1884), der zu dieser Zeit mehrere Gebäude im 3. Bezirk errichtete. Ein zweiter Umbau erfolgte 1841 durch Josef Rastan (freundlicher Hinweis von Paul Zwirchmayr, Wels).

Die Rockstroh-Buchdruck-Schnellpresse, auf der die "Fackel" gedruckt wurde, war noch bis 1985 in Gebrauch. 

 

Angabe der Verlagsadresse auf der 1. Umschlagseite (F 405, Ende Februar 1915)

 

 



Rockstroh-Buchdruck-Schnellpresse im 
Drucksaal von Jahoda & Siegel (um 1960)

 

Münchener Löwenbräu Bierhalle, Franzensring, [heute Löwelstraße] 20, Wien, I.


Münchener Löwenbräu (vmtl. um 1900)

Das unmittelbar hinter dem Burgtheater gelegene Haus wurde zwischen 1884 und 1887 von dem Architekten Emil von Förster für die Bodencreditanstalt erbaut; spätestens ab 1901 befand sich nach mehreren Um- und Erweiterungsbauten darin das Lokal der Münchener Löwenbräu. Nach der Demolierung des "Griensteidl" zog Karl Kraus, Peter Altenberg, Adolf Loos, Egon Friedell ins Löwenbräu (Katalog Marbach 1999, 498). Den Gastronom Leopold Pelikan verewigte Karl Kraus als „Herrn Grüßer“ im zweiten Akt (17. Szene) in den "Letzten Tagen der Menschheit" (Sinhuber 1997, 58).

 

Café Imperial, Kärtnerring 16, Wien, I.


Café Imperial am Kärtnerring (um 1920)

Das Café Imperial, zum gleichnamigen Hotel gehörend, zählte zu den vornehmsten Ringstraßen-Cafés. Das Gebäude wurde 1863-65 von Herzog Wilhelm von Württemberg, einem k.u.k.-Offizier, ursprünglich als privates Ringstraßenpalais erbaut. Da der Wiener Gemeinderat beschloss, hinter dem Palais eine Straße entlang zu führen, die das Palais von dem dahinterliegenden Park abtrennte, verzichtete der Herzog auf das Palais. Nach einem Umbau wurde das Hotel „Imperial“ am 28. April 1873 rechtzeitig zur Weltausstellung eröffnet. Aufgrund eines kaiserlichen Privilegs Franz Josephs I. war das „Imperial“ das einzige k.u.k. Hofhotel, und neben Bismarck wohnte hier unter anderem auch Wilhelm I., als er in Wien zu Gast war. Das Imperial genoß Weltruf, im „Hotel- und Gasthof-Adressenbuch von Österreich-Ungarn, Bosnien und der Herzegowina“ aus dem Jahr 1901/02 ist zu lesen: „In der Nähe der k.k. Hofoper, mit höchster Eleganz und großem Komfort ausgestattet. Café und sehr feines Restaurant beim Hause, Aufzug  in allen Stockwerken. Omnibus. Bäder im Hause.“ (Sinhuber 1997, 44). Bis heute  ist  das "Imperial"  das bevorzugte Quartier für Staatsgäste. Zwischen 1938 und 1941 zählte mehrere Male  Adolf Hitler zu den Gästen. 1938 erfolgte ein Umbau des Hotels im Jugendstil; 1945 war das Gebäude  der Sitz der sowjetischen Stadtkommandantur. - Das  Café Imperial  war nach dem  Central und  dem Parsifal das Stammcafé  von  Karl Kraus: „Kraus schätzte dieses luxuriöse Kaffeehaus, weil es nahe seiner Wohnung war und dort weniger Künstler verkehrten als im Café Central,  dem Scheidl oder Parsifal“ (Begleitbuch Wien 1999, 49). An der Fassade ist eine Erinnerungstafel angebracht.

 

Karlskirche, Karlsplatz, Wien, IV.


Karlskirche

1899 verließ Kraus die jüdische Glaubensgemeinschaft; am 8. April 1911 ließ er sich in der Karlskirche, die sich unweit seiner späteren Wohnung in der Lothringerstraße Nr. 6 befindet, katholisch taufen. Taufpate war Adolf Loos. Bis 1922 bleibt dieser Schritt privatim; erst 1922 thematisierte Kraus seine Konversion in der Fackel. Als Taufgeschenk erhielt Kraus von Adolf Loos ein Kreuz.

Karlskirche (1999)

 

 

Lothringerstraße 6, Wien, I.


Lothringerstraße 6

Seit dem 12. Februar 1912 bis zu seinem Tod am 12. Juni 1936 befand sich im Mezzanin der Lothringerstraße 6 die Wohnung von Karl Kraus; seinerzeit war - wie auf der Abbildung zu sehen - die Hauseingangstür von der Straße durch einen schmiedeeisernen Zaun und Portalpfeiler abgetrennt, die heute nicht mehr vorhanden sind. An der Fassade befindet sich eine Erinnerungstafel. Als Karl Kraus dort einzog, konnte das Haus fast noch als Neubau gelten: Es war erst 1904 errichtet worden, der Architekt war Julius Goldschlager (1872-1940; freundlicher Hinweis von Paul Zwirchmayr, Wels).

Lothringerstraße 6

 

Zentralfriedhof, Wien, XI.
Karl Kraus starb am 12. Juni 1936 an einer Herzembolie. Das Grab befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof in der Gruppe 5 A, Reihe 1, Nummer 22. 

 


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© Christian Schmidt 2001-2003